Die Preisträger:innen 2024

Darsteller:in Tanz

Zarina Stahnke

in „Schwanensee“
Semperoper Dresden

Jurybegründung

Die »Schwanensee«-Neuinterpretation des schwedischen Tänzers und Choreografen Johan Inger stellt die Frauen mehr als je zuvor ins Zentrum dieses klassischen Balletts. So kann die junge amerikanische Tänzerin Zarina Stahnke als Königin Zoe ihr Darstellungspotential vollkommen ausschöpfen und der Königin eine sehr persönliche Interpretation verleihen. Auf höchstem technischem Niveau gestaltet sie ihre Rolle mit Feingefühl und Präzision, bleibt fragil und dabei stets feminin. Es ist faszinierend mitzuerleben, wie sie die Königin Zoe zwischen Pflichtgefühl und Freiheitssehnsucht gestaltet. Besonders eindrucksvoll ist ein Pas de deux am Ende des ersten Teils im Kampf mit dem König, der Königin Zoes Schleier zerreißt. Wie kraftvoll und brutal diese Szene ausgeführt wird, überwältigt. Zarina Stahnke zeigt auf eindringliche Weise, wie ein klassischer Stoff zeitgemäß vertanzt werden kann: Vorbildgebend!

Darsteller:in Schauspiel

Anna Drexler

in „Trauer ist das Ding mit Federn“
Schauspielhaus Bochum

Jurybegründung

Wie lässt sich Trauer um einen geliebten Menschen auf der Bühne darstellen? Die Inszenierung »Trauer ist das Ding mit Federn« löst nicht nur diese Frage auf, sie lässt uns zugleich mit einem starken Ensemble miterleben, was Trauer eigentlich bedeutet. Es ist die grandiose Schauspielerin Anna Drexler, der wir diesen Bühnenzauber verdanken, weil sie als mitfühlendes, wütendes, zärtliches Krähenwesen zur Trauer verführt. Dabei zieht sie alle Register der Schauspielkunst, lotet die Brandbreite dieses tiefen Gefühls aus und wird zur befreienden Anarchistin, die ihre Mitspielenden und das Publikum in den Bann zieht.

Anna Drexler ist so direkt und authentisch, persönlich und unverstellt, dass wir nie bloß einer Schauspielerin zusehen, die virtuos etwas herstellt, sondern einem Menschen, der sich mit Haut und Haar dem Spiel verschreibt und ausliefert. Durch ihre emotionale Präsenz entstehen Momente von Stille und Leere, die von großer Wahrhaftigkeit getragen sind.

Darsteller:in Musiktheater

Asmik Grigorian

in „Salome“
Hamburgische Staatsoper

Jurybegründung

Mit dem ersten Erscheinen auf der Bühne sind wir von Asmik Gregorian in ihren Bann gezogen. Bis zum Ende der Oper verkörpert sie stimmlich wie darstellerisch in jeder Sekunde die gesamte emotionale Bandbreite der Titelfigur. Salomes Innenwelt strömt, getragenen von den Strauss‘schen Melismen, aus ihrem Körper, überflutet die gegebene Szenerie und lässt uns teilnehmen an den endlosen Tiefen menschlicher Emotionalität. Die Inkarnation der Figur Salome. Perfekte Einheit aus stimmlicher Kontrolle und intensivstem Ausdruck, der selbst in den Szenen, wo sie nur agiert, ohne zu singen, die Spannung zum Bersten bringt. Eine in jeder Hinsicht darstellerisch-gesangliche Naturgewalt.

Darsteller:in Theater für junges Publikum

Tobias Weishaupt

in „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“
Theater Altenburg Gera

Jurybegründung

Lisa ist fast neun Jahre alt und viel allein. Ihre Eltern haben sich zurückgezogen, Freund:innen hat sie keine. Sie liebt das Weltall und alles, was mit Computern zu tun hat. Besonders gerne imaginiert sie Dinge, zum Beispiel hätte sie gerne einen Hund, der mit ihr spielt und der sie beschützt. Tobias Weishaupt führt zu Beginn der Inszenierung gemeinsam mit Annika Schaper die Figur der Lisa. Als Puppenspieler tröstet er sie, versucht, ihre Wünsche zu erfüllen, ist dabei, wenn sie Scham empfindet. Lisas größter Wunsch ist, einen Außerirdischen zum Freund zu haben, der so wäre wie sie: sehr freundlich und nett. Und da ist er: Walter, auf der Erde gestrandet nach einem misslungenen Erdspaziergang mit drei warmen Mahlzeiten. Dieser Walter ist 345 Jahre alt und ein wenig nervös. Dort, wo Walter herkommt, gibt es – wie könnte es auch anders sein – alles, was sich Lisa wünscht: kuscheln, spielen, sich umeinander kümmern, spazierengehen: »Die wichtigen Dinge halt«, wie Tobias Weishaupt so wunderbar trocken und unsentimental in den Raum wirft.

Walter erkennt Lisas Sorgen und beschließt, sich um sie zu kümmern. Er will bleiben, solange es nötig ist. Er hört nie auf zu fragen, verurteilt nicht und ist sehr neugierig. Deshalb vertraut sie ihm. Seine Reaktionen sind überraschend und identifikationsstiftend, aber vor allem trostspendend in dieser tiefen Einsamkeit von Lisa. »Warum lässt du das zu, dass man dich ärgert?«, fragt er sie. Mit Walters Hilfe wird sie mutig und wehrt sich. Er zeigt ihr, wie es gehen könnte. Auch er kommt nicht ohne einen Moment des Kummers aus, »Themenwechsel«, sagt er nur und es ist klar, er hat Heimweh. Ganz schlicht und tiefergreifend vollzieht Weishaupt diesen Stimmungswechsel in der Figur. Sein Spiel ist dabei durchgehend schlicht, fast unaufgeregt und schafft dadurch eine große Empathie und spürbare Verbindung zwischen den Figuren auf der Bühne und dem Publikum. Sybille Bergs Geschichte über soziale Isolation für Kinder ab neun Jahren mit Puppen zu erzählen, ist eine wundervolle Idee. Puppenspieler Tobias Weishaupt am Theater Altenburg Gera, wo das Puppenspiel schon eine lange Tradition hat, zelebriert diese besondere Kunst in dieser Inszenierung mit Herz und handwerklichem Können auf hohem Niveau.

Inszenierung Tanz

Imre & Marne van Opstal

für „Voodoo Waltz“
Schauspielhaus Bochum

Jurybegründung

Die Geschwister Imre und Marne van Opstal haben innerhalb weniger Jahre den Übergang von gefeierten Ensemblemitgliedern des Nederlands Dans Theater zu einem der vielversprechendsten Choreografie-Teams der europäischen Tanzszene gemeistert. In ihrer ersten abendfüllenden Inszenierung verweben sie Text, Schauspiel und Tanz zu einem Abbild über die Fragilität des Daseins. Mit großem Geschick wird hier ein eigener Stil präsentiert, der vollkommen mühelos auf die Schauspielenden überzuspringen scheint. In dieser Choreografie erzählen Bewegungen vielschichtiger als gesprochene Worte. Solo, Duette und Gruppenszenen zeugen dabei von hohem handwerklichem Vermögen, mit Sequenzen von kraftstrotzender Wucht bis zu poröser Zerbrechlichkeit. Alle Beteiligten dieses Abends erzählen gemeinsam eine Geschichte, die von Queerness über religiöse Aspekte und familiäre Abhängigkeiten geht – und in ihrer Vielschichtigkeit formal und inhaltlich einen Sog entwickelt.

Inszenierung Schauspiel

Joanna Lewicka

für „Antigone“
Theater Plauen-Zwickau

Jurybegründung

Was braucht es mehr im Theater als das Vertrauen in das Spiel und den Text? Joanna Lewicka hat sich im Theater Plauen-Zwickau ernsthaft und klug auf die »Antigone« von Sophokles eingelassen und eine berührende und hochaktuelle Inszenierung geschaffen. Jedem Schauspielenden eröffnet sie einen eigenen Darstellungsraum, um die Tragik und das Pathos der Figuren durch eine emotionale Tiefe zu beglaubigen. Mit den Möglichkeiten und Mitteln des Theaters geht sie souverän um. Gekonnt und stilsicher nutzt sie die Potenziale der Bühne, ohne sich in überflüssigen Einfällen und Effekten zu verlieren. Musik, Ausstattung und Video ergänzen sich formstreng und konsequent. Auf vordergründige Anspielungen verzichtet Joanna Lewicka, denn sie setzt auf die freie Assoziationskraft des Publikums. In dieser bilderstar-ken Inszenierung entstehen große berührende Momente. Der alte Text, so genau umgesetzt, verweist auf das Heute: auf die Gefahren einer menschenverachtenden Machtpolitik, die in die Katastrophe führt.

Inszenierung Musiktheater

Ingo Kerkhof

für „Fin de Partie (Endspiel)“
Oper Dortmund

Jurybegründung

György Kurtágs einzige und mit größter Sehnsucht erwartete Oper »Fin de Partie (Endspiel)«, 2018 an der Mailänder Scala uraufgeführt, konnte die Erwartungen in der Uraufführungsproduktion nur mäßig erfüllen. Nach vielen Anläufen der Oper Dortmund geriet »Fin de Partie (Endspiel)« unter der Regie von Ingo Kerkhof nun endlich zur fulminan-ten Deutschen Erstaufführung. In seiner Regie erkennt Ingo Kerkhof die große Herausforderung eines filigranen Kammerspiels, welchem von Kurtág ein riesiges Orchester gegenübergestellt wird.

So platzierten er und seine Ausstatterin Anne Neuser das Publikum direkt auf die Bühne, unmittelbar in das Bühnengeschehen der darstellenden Sänger:innen. Dem gegenüber arrangierte er das Orchester im Zuschauerraum, wo es unter der sensationellen Leitung von Johannes Kalitzke nicht zur akustischen Mauer zwischen Publikum und Szene geriet, sondern die komplette Bandbreite an zarten bis eruptiven Klängen ausbreiten konnte. Mit einer höchstmöglichen Präzision an Personenführung und der akustischen Raumtiefe des gigantischen Orchesters werden die Zuschauer:innen unmittelbar in die Oper hineingezogen und erleben Schauspiel und Musik nicht als getrennte Ebenen, sondern beides gleichermaßen intensiv. Dazu wird jede darstellerische Geste auf die Musik geschraubt, sodass Musik, Text und Szene zu einer gelungenen Einheit verschmelzen. Das eigentliche Werk, Kurtágs Oper, kann somit unverfälscht in seinem Kern mitten in das Herz des Publikums vordringen. Für das Fortleben des Werkes ein maßgeblicher Beitrag.

Inszenierung Theater für junges Publikum

Frederic Lilje

für „All das Schöne“
Junges Ensemble Stuttgart

Jurybegründung

Wer hat das in seinem Leben noch nicht versucht, über das Führen von Listen zu Entscheidungen zu gelangen. Diese Entscheidung, um die es in »All das Schöne« geht, ist eine existenzielle: Gibt es etwas, wofür es sich zu leben lohnt? Die Hauptfigur des Stückes versucht Antworten zu finden: 1. Zitroneneis, 2. Wasserschlachten, 3. länger aufbleiben als sonst und fernsehen, 4. die Farbe Gelb. Der Junge, der diese Liste schreibt, ist sieben Jahre alt, als seine Mutter das erste Mal versucht, ihr Leben zu beenden. Sie ist der Grund, warum er beginnt, diese Liste zu führen. Es ist ein emotional bewegendes Stück, dem man sich nicht entziehen kann.

Ein starker Theaterabend, der seine Intensität durch die Aktivität und Kompliz:innenschaft des Publikums gewinnt. Das ist der Clou des Stückes, denn dem Publikum ist schon in der Textvorlage seine Mitwirkung und damit seine Aufgabe und Verantwortung eingeschrie-ben: Wir Zuschauenden sitzen im Kreis und schauen nicht nur dem Kind, sondern auch uns dabei zu, wie all das Gesagte und Gefühlte wirkt. Man spürt es förmlich im Raum: Spiegelneuronen-Explosionen. Die viel zitierte Empathie, hier entsteht sie, direkt und ungeniert. Der Raum, ein Safespace im besten Sinne, und zusätzlich mit der Möglichkeit versehen, diesen jederzeit verlassen und wiederkommen zu können.

Schauspieler Maximilian Schaible spielt den Jungen, der im Laufe des Stückes erwachsen wird und selbst Beziehungen eingeht, ganz nahbar und ungeschützt. Er setzt sich förmlich dem Publikum aus und setzt sein Vertrauen auf uns. Es ist alles andere als ein leichter Stoff, und doch macht die Inszenierung Mut, ist lebensbejahend und unerwarteter-weise auch sehr humorvoll, was sicher auch an Maximilian Schaibles hervorragendem und intensivem Spiel liegt. »All das Schöne« zeigt auf, wie eine Liste mit all dem Schönen zumindest den Blick auf die Welt verändern kann. Den Rest des Weges muss man allein gehen, unterstützt von Freund:innen und Hilfeanbietenden.

Raum

Lorenz Vetter, Signa Köstler, Tristan Kold (Raum)

für „Das 13. Jahr“
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

Jurybegründung

Lorenz Vetter, Signa Köstler und Tristan Kold schufen mit ihrem Werk »Das 13. Jahr« in einer Industriehalle auf dem ehemaligen Thyssenkrupp-Gelände für das Deutsche SchauSpielHaus Hamburg ein szenografisches Meisterstück besonderer Qualität. Dieser Raum eröffnet durch fast unendliche Phantasiewelten genügend Spielanlässe, in die das Publikum eintauchen, die Zeit darin verlieren und die Außenwelt vergessen kann. Mit künstlerischer Präzession, Gestaltungssicherheit und ästhetischer Ausdrucksstärke entsteht ein starker szenografischer Beitrag zum Gesamtkunstwerk. Der Raum befördert ein bleibendes immersives Erlebnis. Die gleichberechtigte Arbeit im künstlerischen Team und der Brückenschlag zur Bildenden Kunst prägen diese herausragende Installation.

Ton & Medien

Lubomir Grzelak (Musik), Maximilian Kraußmüller, Eugenijus Sabaliauskas (Lichtdesign), Jakub Lech (Videodesign), Daphne Chatzopoulos, Johanna Seggelke, Paula Tschira (Live-Kamera), Łukasz Twarkowski (Regie)

für „WoW – Word on wirecard“
Münchner Kammerspiele

Jurybegründung

Mit »WoW – Word on wirecard« präsentieren die Münchner Kammerspiele ein außergewöhnliches Werk, in dem auf faszinierende Weise die Grenzen zwischen Realität und virtueller Täuschung verschwimmen und das Publikum in die Machenschaften des Wirecard-Skandals eintaucht. Die Inszenierung von Łukasz Twarkowski macht die perfekt geführte Live-Kamera (Paula Tschira und Johanna Seggelke) zum Herzstück der Produktion: Sie wird zu einem lebendigen Organ, das den Spieler:innen in Echtzeit folgt und jede Szene mit virtuoser Detailtreue auf die Leinwand projiziert. Es entsteht eine Wechselwirkung zwischen Bühnengeschehen und Leinwand-projektionen. Wir befinden uns gleichzeitig in einem flüchtigen wie kontrollierten Raum zwischen Realität und Manipulation – ein Ansatz, der die Mechanismen der Macht und die Illusionen der modernen Finanzwelt thematisch perfekt unterstreicht. Die Videoüberlagerungen und der gezielte Einsatz von Deepfake-Techniken verdeutlichen den Einfluss von digitalen Täuschungen auf die Wahrnehmung der Realität. Videodesign (Jakub Lech), Lichtdesign (Maximilian Kraußmüller und Eugenijus Sabaliauskas) und Musik (Lubomir Grzelak) kreieren gemeinsam eine hochgradig atmosphärische Szenografie und stellen damit die Kraft des Theaters als kollaborative Kunstform eindrucksvoll unter Beweis. Die komplexe Handlung wird durch den Einsatz der Medien und ihr Zusammenspiel mit den Schauspieler:innen zu einem vielschichtigen Erlebnis, das nicht nur unterhält, sondern auch intellektuell fordert. »WoW – Word on wirecard« ist ein innovatives Stück, das die Grenzen zwischen den Medien bricht und damit verdeutlicht, wie technologische Mittel im Theater nicht nur narrative Unterstützung bieten, sondern die Sinne schärfen und eine tiefere Ebene der Rezeption ermöglichen.

Kostüm

Luisa Wandschneider

für „Jagdszenen“
Theater Magdeburg

Jurybegründung

Luisa Wandschneider erfindet mit ihrem Kostümbild für »Jagdszenen« am Theater Magdeburg eine eigene künstlerische Dimension der Inszenierung. Jede Figur erhält ihren eigenen scharfen Zuschnitt. Durch den gekonnten Einsatz wechselnder Materialien und die Transparenz und Fragilität der Stoffe verschaffen die Kostüme den Figuren eine zweite Haut. Diese starke Figurenzeichnung dynamisiert sich während des Verlaufs der Aufführung. Das zarte Kostümbild wird durch das intensive körperliche Spiel der Darstellenden verschmutzt, verletzt, vernarbt und zerstört. Der »menschliche« Reifeprozess der Kostüme verinnerlicht die soziale Verortung der Figuren und berührt auf besonders feinsinnige Art das Publikum. Kostüm und Masken prägen dramaturgisch den Verlauf der gesamten Inszenierung und helfen den Spielenden ihre Figuren zu entwickeln.

Genrespringer

Bassam Ghazi, Birgit Lengers und Ensemble

für „Solingen 1993“
Düsseldorfer Schauspielhaus

Jurybegründung

Solingen, 1993. Eine Stadt, eine Jahreszahl. Synonym für Rassismus und rechte Kontinuitäten in unserem Land. Aber wer erinnert, wer kümmert sich eigentlich um die Opfer und ihre Angehörigen? Wer nennt ihre Namen und erzählt ihre Geschichten? – Mit »Solingen 1993« gelingt dem Team rund um Regisseur Bassam Ghazi und Dramaturgin Birgit Lengers eine außergewöhnliche Balance zwischen performativer Erinnerungskultur und erinnerungskultureller Performance. Die theatrale Busreise führt die Zuschauer:innen vom Düsseldorfer Schauspielhaus an die Orte des Geschehens in Solingen. Auf spielerische Weise begleiten zwei futuristische Guides das Publikum zurück in die 1990er Jahre und verlieren dabei nie den Fokus: Im Mittelpunkt stehen Zeitzeug:innen und Opferangehörige. Diese site-specific Tour ist immer Kunst und Politik zugleich, fein verwoben zwischen Erzählung und Dokumen-tation, eine sensibel gearbeitete Markierung der bleibenden Leerstellen. Sie verdient den Deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Kategorie Genrespringer.

Preis für das Lebenswerk

Nele Hertling

für ihr Lebenswerk

»Ausdauer, Freundlichkeit, Charme und eine tiefe Liebe zur Darstellenden Kunst zeichnen Nele Hertling aus. Seit den 1960er Jahren prägt sie die Freie Szene in Berlin, als sie zur Akademie der Künste kam. Bis heute ist die 90-Jährige Direktorin der Sektion Darstellende Kunst und engagiert sich für kulturpolitische Initiativen wie A Soul for Europe.

Durch ihre Arbeit transformierte sie die Theaterlandschaft und brachte zeitgenössische Kunst nach West-Berlin – in einen zu dieser Zeit oft selbstbezogenen Theaterbetrieb: Mit dem Festival Pantomime Musik Tanz Theater gründete Hertling das wichtigste internationale Performance-Festival der 1970er und 1980er Jahre und mit dem Hebbel-Theater, das sie als erste Intendantin in West-Berlin 14 Jahre lang leitete, bekam Berlin das erste Theater für internationale Performance-Kunst. Mit der Gründung von Tanz im August folgte 1988 eines der größten internationalen Tanzfestivals in Deutschland.

Nele Hertling verstand die Freie Szene nie als Gegensatz zum Stadttheater. Sie schuf Theater für Berlin und lenkte als Dramaturgin, Kuratorin und Intendantin mit Blick für die Tanz-Avantgarde und ihrer Aufbau- und Vernetzungsarbeit die künstlerische Entwicklung der Nachkriegsjahrzehnte in ganz Deutschland.

Zahlreiche heute führende Künstler:innen wie Merce Cunningham, Anne Teresa de Keersmaeker oder Robert Wilson wurden durch ihr Wirken Teil der deutschen Theaterszene. Dabei ging es Nele Hertling immer um die Menschen und ihre Kunst. Sie war immer eine Frau des Dialogs und Austauschs, pflegte einen offenen Führungsstil und setzte sich aktiv gegen Autoritarismus und Geschichtsvergessenheit und für Demokratie ein. Sie kann damit heute noch Vorbild sein für die Kultur in Deutschland.«

Perspektivpreis

Theaterjugendclub der Theater Nordhausen / Loh-Orchester Sondershausen

Perspektivpreis der Länder

»Der Swing versprach der Jugend Freiheit, die Musik bedeutete Wider- stand. Mit dem Stück Swing Again von Tina Müller setzt sich der Theaterclub Nordhausen mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. Aus dem schützenden Konjunktiv von – Was hätte ich damals getan? – arbeiten die 19 Teilnehmenden zwischen 14 und 20 Jahren die Frage heraus: Was kann ich heute tun? In der Stadt Nordhausen zeigen sie im Jugendclubhaus, wie sich für sie Freiheit und Widerstand an- fühlen. Der Perspektivpreis der Länder zeichnet in diesem Jahr den entschlossenen und überzeugenden Einsatz des Theaterjugendclubs des Theaters Nordhausen aus. Das Projekt bietet in der kleinen thüringischen Stadt jungen Menschen einen Raum, in dem sie angenommen werden und sich ausprobieren können. Ihre persönliche Situation findet ebenso Platz wie ihre Fragen an ein Miteinander, an Zivilcourage und politisches Engagement.

Mit diesem Projekt hat sich das Theater Nordhausen aktiv bei Veranstaltungen des Bündnisses #NordhausenZusammen engagiert und so gemeinsam mit den Jugendlichen vor Ort ihre Sicht auf das gesellschaftliche Miteinander demonstriert. Mit Swing Again führen sie den Zuschauer:innen vor Augen, wie kulturpolitische Entscheidungen direkte Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit haben.

Die positive Resonanz auf dieses Projekt des Theaters Nordhausen / Loh-Orchester Sondershausen stärkt zudem die Jugendlichen in ihrem direkten Umfeld. Partizipative Projekte für junge Menschen in ländlichen Gegenden bieten Möglichkeiten, sich zu empowern und mit dieser Kraft gesellschaftlich zu wirken.«