»Sagen Sie bitte nie Herr Flöz zu mir!«
Die Theatergruppe Familie Flöz wird am 15. November die Verleihung des Deutschen Theaterpreises DER FAUST im Theaterhaus Stuttgart auf die Bühne bringen. Ein Gespräch mit Michael Vogel – Schauspieler und künstlerischer Leiter – über die universale Sprache von Masken, Scheitern als Chance und die Frage, wie ein Galaabend ohne gesprochene Sprache funktionieren kann.
Das Interview ist in der DEUTSCHEN BÜHNE 05/2025 erschienen.
Herr Vogel, die internationale Company Familie Flöz hat ihre Ursprünge in der Folkwang Universität der Künste in Essen. Sie gehörten 1994 zu den Gründern. Worum ging es Ihnen damals?
Zuerst waren da Träume. Heute wissen wir, dass das Spiel mit Masken eine universale Sprache ist, die überall verstanden wird. Damals haben wir geträumt – eine Gruppe von Folkwang-Studenten –, Theater zu schaffen, das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit präsent werden kann. Wir waren uns bewusst, dass es auf der ganzen Welt viele Theater gibt, die kein festes Ensemble haben und stattdessen Programme einkaufen. Bis heute finden die meisten unserer Auftritte außerhalb Deutschlands statt, und wir haben in den 30 Jahren in mehr als 40 Ländern gespielt. Ein weiterer wichtiger Punkt war für uns, Theater zu machen, das die Zuschauer begeistert und bewegt – so sehr, dass sie andere Menschen zu uns schicken. Auch das ist nach wie vor Realität.
Und thematisch?
Inhaltlich ging es in unseren Stücken von Anfang an um Figuren, die der jeweiligen Lebenssituation ausgeliefert sind, überfordert sind und das Scheitern als Chance wahrnehmen.
Was hat es mit dem Namen »Familie Flöz« auf sich?
Die Entscheidung für einen Gruppennamen kam sehr spät, fast zehn Jahre nachdem wir angefangen hatten, Stücke zu entwickeln. Zuerst wollten wir keinen Namen haben, weil wir auch keine feste Gruppe sein wollten. Hajo Schüler und ich wollten Theaterprojekte realisieren und die Titel der Stücke bekannt machen. Das erste Stück »Familie Flöz kommt Über Tage« wurde international sehr gut angenommen und hat uns und unsere Arbeit bekannt gemacht. Aus diesem Titel kam dann Jahre später der Name der Theatergruppe. Er funktioniert gut, »Familie« lässt sich in alle Sprachen übersetzen und die Bedeutung von »Flöz« bleibt rätselhaft und ist auch in Deutschland vielen nicht bekannt. Aber sagen Sie bitte nie »Herr Flöz« zu mir!
Sie haben die künstlerische Leitung für die diesjährige Verleihung des Deutschen Theaterpreis DER FAUST übernommen. Im Theaterhaus Stuttgart wird es eine Gala geben, die jenseits von sprachlichen Barrieren Verbindungen schafft. Was haben Sie vor?
Theater arbeitet mit Überraschungen. Diese Preisverleihung mit Familie Flöz findet ja nur einmal statt. Es wird also ein Unikat sein. Das mag ich sehr. Zwei Sachen kann ich verraten: Es wird wenig Worte geben und viel gespielt werden und die Preisverleihung wird auf einer Hinterbühne stattfinden.
Preise in zwölf Kategorien, mehr als 60 Künstler:innen vieler Nationalitäten – welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht eine solche Auszeichnung von Künstler:innen für Künstler:innen?
Künstlerische Arbeit zu würdigen, ist gerade in dieser Zeit sehr wichtig. Wertschätzung von Künstler:in zu Künstler:in ist der Anfang aller Zusammenarbeit. Preise zu verleihen eine gute Möglichkeit, Theaterarbeit zu stützen und zu fördern. Grundsätzlich mag ich Preisverleihungen, auch wenn ich meist mit denen mitfühle, die nicht mal nominiert sind oder für die es keine Kategorien gibt. »Die einen stehen im Dunkel, die anderen im Licht und die im Dunkel sieht man – leider – nicht.«
Masken und Puppenspiel gehören zu charakteristischen Merkmalen der Produktionen Ihrer Company. Welche Kraft liegt in diesen künstlerischen Mitteln?
Viel Kraft! Ich nehme mal einen Aspekt heraus, der mich von Anfang an bis heute fasziniert. Tote Objekte fangen auf der Bühne an zu leben und das nur in meiner Vorstellung und so präzise, wie es kein Darsteller so herstellen könnte. Wenn dieser magische Moment passiert, bekomme ich immer noch Gänsehaut.
Masken haben noch so viele Qualitäten und Möglichkeiten. Auch deshalb ist es ein Traum von mir, dass Masken im Theater noch mehr genutzt werden und diese junge und zugleich uralte Theaterform sich weiterentwickeln kann.
Die Preisverleihung schafft immer auch eine große Bühne für die Belange der Kunst und der Künstler:innen. Welche Themen brennen Ihnen auf den Nägeln?
Immer das nächste Stück! In der aktuellen Produktion beschäftigen wir uns mit einem wichtigen Kern unserer Arbeit: »Dem Publikum«. Arbeitstitel ist »FINALE«. Das neue Stück beginnt deshalb nicht nur im, sondern mit dem Publikum. Die oft an uns gestellte Frage, woher denn eigentlich die bizarren Charaktere kommen, wird zu einer praktischen Versuchsanordnung.
Weitere Themen, die nicht nur aktuell, sondern auch essenziell sind, um das Theater lebendig und relevant zu halten, sind für mich Diversität auf der Bühne, die Veränderungen von Theater und Zuschauenden durch die Digitalisierung und die nachhaltige Gestaltung von Produktionen, um Umweltbelastungen zu reduzieren. Außerdem sind der Generationswechsel und die Förderung junger Talente etwas, was uns aktuell beschäftigt.
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