Darsteller:in Tanz
Ligia Lewis
in A PLOT / A SCANDAL, Ruhrtriennale
Eine Produktion von Ligia Lewis in Koproduktion mit HAU Hebbel am Ufer, Ruhrtriennale, Arsenic – Centre d’art scénique contemporain Lausanne, Tanzquartier Wien, Kunstencentrum VIELNULVIER Gent, Kaserne Basel, The Museum of Contemporary Art Los Angeles, Walker Art Center Minneapolis.
„Der Zeremonienmeisterin Ligia Lewis gehört der Bühnenraum ganz und gar und sie ist dabei Inszenierung und Zeugin gleichermaßen. Der ganze Körper exerziert eine vielschichtige, feinsinnig-sinnliche und zutiefst bewegende Erinnerung und Verschmelzung mit allem, was die Grundlage des europäischen Reichtums ist. Dabei verleibt sich Lewis in wunderbar eigensinniger Weise die europäische Romantik ein und überlagert diese mit indigenen Bewegungsästhetiken.
So entsteht ein Wechselspiel von Archaik, westlich tradierten Sehgewohnheiten, Tanz, Performance, Ritual, Aufschrei, Kraft und Hingabe. Ihre absolute Präsenz innerhalb ihrer Inszenierung schafft es, die abertausenden Referenzen zur Kolonialgeschichte in bewegenden Bildern zusammenzufassen und den Bogen bis zum Ende hin gespannt zu halten – mit jeder Zelle ihres Körpers.“
Darsteller:in Schauspiel
Fritzi Haberlandt
in ANGABE DER PERSON, Deutsches Theater Berlin
„Fritzi Haberlandts Spiel ist ein Ereignis! Es ist dieser besondere Ton, diese einzigartige Klarheit, diese Art und Weise, ihr auf der Bühne beim Denken zuzusehen, was Haberlandts Spiel ausmacht. In Elfriede Jelineks „Angabe der Person“ ist sie neben Susanne Wolff und Linn Reusse eine von drei furiosen Schauspielerinnen, die als Stellvertreterinnen der Autorin – wie die junge Jelinek mit Perücke und Pullunder – auftreten.
Fritzi Haberlandt performt ihren Monolog als strenge Stand-Up-Performerin, ohne dabei unbedingt lustig sein zu wollen, und entlockt der komplex verschachtelten, assoziationsreichen Textfläche schillernde Kolorierungen. Dabei kokettiert sie fast nebenbei mit den Herausforderungen der Jelinekschen Sprache, lässt sich auch mal ein Stück Text soufflieren und verliert nie die Verbindung zum Publikum. Haberlandts Spiel ist lässig und leicht, bedrohlich und unberechenbar, intensiv und virtuos!“
Darsteller:in Musiktheater
Vera-Lotte Boecker
als Nadja in BLUTHAUS, Bayerische Staatsoper München
Eine Produktion der Bayerischen Staatsoper und des Residenztheaters München
„Vera-Lotte Boecker steht als Nadja in Georg Friedrich Haas‘ „Bluthaus“ im Zentrum einer verstörenden Geschichte um Inzest und Mord. Mit höchster Virtuosität und Intensität, stimmlich und darstellerisch überragend, nimmt sie die Zuschauenden mit auf eine Höllenfahrt und verwandelt die schwierigsten musikalischen Gesangslinien in Fieberkurven gebündelter Energie.
Wie sie beim Versuch, das Haus der Eltern zu verkaufen, von inneren Dämonen heimgesucht wird und dem Missbrauch des Vaters im Makler ein zweites Mal begegnet, führt an die Grenzen des Möglichen und Erträglichen. Ihre vollkommene Konzentration und Hingabe machen Vera-Lotte Boeckers Spiel zu einem Ereignis.“
Darsteller:in Theater für junges Publikum
Wicki Bernhardt und Janna Pinsker
in FAMILY CREATURES, Künstler*innenhaus Mousonturm Frankfurt
Eine Produktion von PINSKER+BERNHARDT in Koproduktion mit dem Künstler*innenhaus Mousonturm und dem FFT Düsseldorf
„Das zweite Mal erst wird der Deutsche Theaterpreis DER FAUST für Darsteller:in Theater für junges Publikum vergeben und, sicherlich zur Überraschung, an ein Duo! Weil das Performance-Duo Wicki Bernhardt und Janna Pinsker als spielerische, nahezu verschworene Einheit überzeugt, ohne sich dabei in geringster Weise einem altersgemischten Publikum in jugendlichen Attitüden zu verlieren. Stattdessen – lässig, stoisch, lustvoll und überdies ohne viel Text eine höchst spannungsgeladene Familien-Tristesse zelebriert und unterwandert. Dabei gebiert es irritierend bis pubertär, delikate Spielsituationen und überzeugende Bilder.
In bewundernswerter Weise setzt sich das Duo dabei in Bezug zu sprechenden Bühnenobjekten. Eine beglückende wie verblüffende spielerisch-performative Leistung, die letztlich alle möglichen Formen von Familien- und Paar-Banden bereichert, und vor allem das junge Theater als familiären Wohlfühl-Ort.“
Inszenierung Tanz
Florentina Holzinger
für OPHELIA’S GOT TALENT, Volksbühne Berlin
Eine Produktion der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und Spirit in Koproduktion mit Productiehuis Theater Rotterdam, Tanzquartier Wien, Arsenic Lausanne, asphalt Festival, Gessnerallee Zürich, Kampnagel Internationales Sommerfestival und DE SINGEL Antwerpen
„Florentina Holzinger und ihr entschieden gutes Team schöpfen wieder aus dem Vollen. Frech und so erfrischend frei bedient sich die Inszenierung aller Mittel, lässt das Theater zeigen, was es kann. Die Inszenierung lässt sich Zeit, kostet alles aus und nimmt sich nirgends zurück. Jede Behauptung wird zur Wirklichkeit, jede Gewissheit wird in der nächsten Szene blutig zerrissen, weggeblasen oder sich gänzlich einverleibt. In der Arbeit mit Menschen mit sehr verschiedenen Körpern setzt Holzinger wieder einmal Maßstäbe. Die Gleichberechtigung und die künstlerische Augenhöhe der Körper mit und ohne Behinderungen ist bemerkenswert und so dringend notwendig auf deutschen Bühnen.
Diese starke Setzung zeigt deutlich: Florentina Holzinger geht unbeirrt ihren Weg und bleibt dabei offen, durchlässig und präzise in ihren Gesellschaftsbeobachtungen.“
Inszenierung Schauspiel
Stefan Bachmann
für JOHANN HOLTROP – ABRISS DER GESELLSCHAFT
Eine Koproduktion des Schauspiels Köln mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus
„Stefan Bachmanns Inszenierung von Rainald Goetz‘ Roman „Johann Holtrop“ ist Sog, Komposition und Theaterzauber! Sie ist unbequem und unterhaltsam, herausfordernd und mitreißend. Die Geschichte über den Aufstieg und Niedergang des Spitzenmanagers Johann Holtrop ist eine aktuelle und abgründige Weltzustandsbeschreibung der Nullerjahre, die Bachmann und sein Team zehn Jahre nach Erscheinen des Romans zur Uraufführung bringen.
Bachmann, der auch zusammen mit Lea Goebel für die Fassung verantwortlich ist, lässt ein ausschließlich weibliches Ensemble die männlichen Abgründe der Wirtschaftsapparate performen. Die acht Schauspielerinnen überzeugen durch ihre dringliche und virtuose Erzählweise, sie sprechen mal chorisch, mal solistisch, und spielen mit einer scharf gezeichneten Körperlichkeit. Bachmanns präzise gearbeitete Form bringt den außergewöhnlichen Goetz-Sound zum Erklingen, die Musik von Sven Kaiser, gespielt von einem Kammermusik-Quartett, liegt wie eine eigene Soundspur unter den Texten. Das ist ästhetisch bemerkenswertes, rhythmisch-rauschhaftes Schauspiel.“
Inszenierung Musiktheater
David Hermann
für DOGVILLE, Aalto Musiktheater Essen
„In enger Zusammenarbeit mit seinem Team Joe Schramm und Tabea Braun schafft David Hermann das Vexierbild einer Gesellschaft, hinter deren Fassade bürgerlichen Anstands sich zunehmend Abgründe auftun. Dabei gelingt es ihm, die zahlreichen Figuren, denen sich Hauptfigur Grace auf ihrem Passionsweg in eine dunkle Welt der Ausbeutung und Demütigung ausliefert, intensiv, präzise und detailreich zu zeichnen. Die albtraumhafte Erzählung entfaltet eine starke Sogwirkung und kulminiert in einem großen effektvollen Finale“
Inszenierung Theater für junges Publikum
Alexander Riemenschneider
für DAS KIND TRÄUMT, Theater an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin
„DER FAUST geht in der Kategorie Inszenierung Theater für junges Publikum an ‚Das Kind träumt‘ von Alexander Riemenschneider für die außergewöhnlich mutige Darstellung des hoch-literarischen Textes des israelischen Autors Hanoch Levin (1943- 1999) die ein jugendliches wie erwachsenes Publikum schonungslos mit dem Thema Flucht, Krieg und Vertreibung konfrontiert und dabei auch riskiert, dass die Zuschauer:innen phasenweise Düsterness und Hoffnungslosigkeit aushalten müssen. Die Wahl dieses Stückes von hoher literarischer Qualität erweitert dabei den üblichen Kanon der Kinder- und Jugendliteratur um wichtige Themen.
Der spielerische wie zärtliche Umgang mit einer Kinds-Puppe ist dabei ergreifend, wodurch sich die traumhaft angeordnete (aber nicht verortete) Erzählweise – einer Reise in den Tod – im Laufe der Inszenierung zunehmend, wie schmerzhaft verdichtet. Die Spieler:innen poetisch, grotesk mit Text und wenigen Requisiten jonglieren und dabei niemals moralisieren. Ein Parforceritt, ein beispielhaftes Wagnis des gesamten, vielköpfigen Produktionsensembles mit allegorischer Intensität zum Weltgeschehen – diese Leistung wird von der Preisträger:innen-Jury besonders hervorgehoben. Die Wahl dieses Stückes trägt darüber hinaus zur Erweiterung des qualitativen Repertoires im Jugendtheater bei.“
Raum
Manuel Braun (Video), Jonas Dahl (Video) und Rainer Sellmaier (Bühne und Kostüme)
für ARABELLA, Deutsche Oper Berlin
„Dem bildnerischen Team Rainer Sellmaier, Manuel Braun und Jonas Dahl gelingt eine raffinierte Verbindung der Mittel in der szenografischen Gestaltung unter gleichberechtigten Künstlern. Die Orte der Handlung werden Eingangs mittels exzellent ausgeführten, historisierenden Räumen und Kostümen dargestellt, zugleich wird mit dem Mittel des Films eine zweite, raffiniert gestaltete Ebene hinzugefügt. Das Zusammenspiel von Raum und Film greift im Laufe der gesamten Inszenierung hervorragend ineinander. Dieses Prinzip setzt sich in der gesamten Erzählung fort und nach und nach werden mehrere Zeitebenen wie bildnerische Mittel virtuos miteinander verwoben und führen am Ende auf einer fast leeren Bühne der Gegenwart zu einer dichten wie zeitgenössischen Erzählform.“
Ton und Medien
Michael v. zur Mühlen (Regie und Game Design)
für OPERA – A FUTURE GAME, Next Level – Festival for Games, NRW KULTURsekretariat
Basierend auf einer Koproduktion der Münchener Biennale mit der Oper Halle 2020-2022
„Mit seinem interaktiven und digitalen Musiktheater-Videospielessay gelingt es Michael v. zur Mühlen, das Musiktheater als modernstes Medium zu denken, als Summe der technologischen und medialen Möglichkeiten einer Zeit. Die Oper, die während der Pandemie nicht zur Aufführung gebracht werden konnte, verwandelt sich in ein beeindruckendes Medienereignis – eine futuristische virtuelle Realität, die eine verwüstete Kulturlandschaft zeigt, in der das traditionelle Opernhaus schon längst verfallen und verwaist steht. Nichtsdestotrotz heißt es dabei: ‚Opera has just begun!'“
Kostüm
Johanna Trudzinski
für BAROQUE, Schauspielhaus Bochum
„Johanna Trudzinskis Kostüme sind sowohl süffig, verführerisch und prunkvoll als auch glitzernd, banal und grotesk – in immer wieder neuen, gekonnt assemblierten Kombinationen und Zitaten ergeben sich überraschende wie lustvolle Verbindungen über die Epochen hinweg. Rauschhaft wird so mit historisierenden Schnitten und Motiven, vermischt mit Adidas und Allongeperücke, Narrenkappe und Nikeschuh ein ins heute transferiertes, barockes Lebensgefühl vermittelt. In Kombination mit nackter Haut und dem Hinterfragen der Gendergrenzen der Bekleidung werden unterschiedliche Körper selbstbewusst gefeiert. Für die Inszenierung entsteht so eine überaus sinnliche wie starke Grundlage zwischen Lebensfreude und der Melancholie, die dem Rausch innewohnen.“
Genrespringer
Thomas Krupa (Regie, Drehbuch) und Tobias Bieseke (VR-Artist)
für DIE WAND (360°), Schauspiel Essen, Collective Archives
„’Plötzlich ist da eine Wand‘ beginnt der Ankündigungstext des immersiven Theatererlebnisses ‚Die Wand (360°)‘. Zieht man sich die VR-Brille und die Kopfhörer über, ist man da ebenso ‚plötzlich‘ in diesem Tiny House; wohnt ‚plötzlich‘ dieser Frau bei, die sich unmittelbar vor den eignen Augen nach und nach in ihrer Einsamkeit einrichtet, ums Überleben kämpft und schließlich mit der Natur symbiotisch verbindet. Wir schauen uns um –, richten uns ebenfalls ein, sind in dieser Isolation schutzlos – und so wird „DIE WAND“ zu einem grandiosen doppelten Spiel, in dem sich der Inhalt der Romanvorlage mit dem gewählten Erzählformat ständig neu spiegelt und kommentiert. Der Produktion ist anzumerken, mit wieviel Spaß an der Erkundung dieses innovativen Formats sie entwickelt, wie detailreich sie erdacht und umgesetzt wurde. Es gibt kein Backstage – alles kann gesehen und erkundet werden. Regie, Schauspiel, Bühnenbild, Ausstattung und Soundscape verweben sich zu einem beeindruckenden Gesamterlebnis.
Hervorzuheben ist auch, dass das Schauspiel Essen mit seiner zweiten 360°-Produktion offensichtlich ernsthaft mit dieser Technik erzählen will und das Stück nicht nur fest im Spielplan verankert, sondern Interessierten das Equipment zuschickt und so die Möglichkeit eröffnet, sich DIE WAND ‚plötzlich‘ im eigenen Zuhause hochzuziehen und dadurch auch Menschen erreicht, für die der Besuch im Theater schwierig ist.“
Perspektivpreis der Länder
Auszeichnung für das FUNDUS THEATER | Forschungstheater
„Theater für Kinder als szenisches Labor des Forschens ALLER zu begreifen und daraus einen weit über die Grenzen Hamburgs hinaus strahlenden Arbeitsschwerpunkt zu machen, Partizipation und Teilhabe nicht als Add-on, sondern als notwendige Grundlage des gemeinsamen intergenerationellen Forschens zu verstehen und zu leben, macht das FUNDUS THEATER preiswürdig und eröffnet eine großartige Zukunftsperspektive. Das FUNDUS THEATER hat in den letzten zwei Jahrzehnten bahnbrechende Pionier-Arbeit geleistet. Es hat eine klare Vorreiterrolle im gemeinsamen künstlerischen Forschen von Kindern, Künstler:innen sowie Wissenschaftler:innen eingenommen, hat Kindheit, Kunst und Wissenschaft auf den unterschiedlichsten Ebenen verknüpft und damit Dialog- und Erfahrungsräume geöffnet, die die Kulturelle Bildungsarbeit in Hamburg zentral prägen. [….]“
Jurybegründung
Preis für das Lebenswerk
Auszeichnung für Prof. Klaus Zehelein
„Klaus Zehelein war nie ein Mann des Rampenlichts. Das mag ein Grund dafür sein, dass viele Menschen außerhalb der engeren Theaterszene kaum eine Vorstellung davon haben, was er für das Theater, insbesondere aber für unser heutiges Verständnis von zeitgemäßem Musiktheater, geleistet hat. Theater für bildungsferne Schichten hat er schon gemacht, bevor der Appell zum ‚diversen‘ Theater von politischer Seite erklungen war: Arbeitertheater als Dramaturg in Kiel, Musiktheater für Lehrlinge (wie es damals noch hieß) ebenso wie für Abiturient:innen am Staatstheater Oldenburg. [….]“