Inszenierung Tanz
RAFAËLE GIOVANOLA
für „Sphynx“
Staatstheater Mainz
Begründung der Jury
Rafaële Giovanola’s „Sphynx“ beeindruckt durch die äußerst präzise und konsequente choreographische Umsetzung einer fesselnden Idee: die Deklination des menschlichen Ganges. Hier wird die Gattung Mensch auf kluge und faszinierende Art auf ihre Evolution hin befragt und dabei ein Kaleidoskop des menschlichen Ganges aufgefächert, welches durch großen tänzerischen Einfallsreichtum besticht. In einer sehr heutigen Bildsprache sind Kostüme, Licht und Bühne genauestens aufeinander abgestimmt um den Blick des Zuschauenden immer wieder zurück auf den Körper zur lenken. Die individuellen Feinheiten einer jeden Tänzerin, eines jeden Tänzers sind genauestens ausgearbeitet. Selten wurde aus einer scheinbar einfachen Idee eine so große choreographische Fülle erarbeitet.
Begründung der Jury
Trotz der Sehnsucht nach Freiheit gerät unser Leben oftmals unverhofft in den Strudel gesellschaftlicher Veränderungen, die nichts Gutes hervorbringen. In der Dunkelheit autoritärer Systeme oder gar brutaler Kriege ist es allein der Überlebenswille, der wider alle Bedrängnisse auf ein besseres Leben hoffen lässt. In einem großartigen Ensemble zeigt sich dieser Überlebenswille als hochenergetisches Zusammenspiel: Es ist, als ob alle gemeinsam gegen ein mangelndes Licht anspielen, das es nicht nur in den neunziger Jahren in Georgien gab.
So aktuell ohne vordergründig zu sein, hat es kaum eine Inszenierung in der letzten Saison geschafft, uns das kleine Leben unter dem Zwang der großen politischen Entscheidungen nahezubringen. Ein raffiniertes Bühnenbild, eindrückliche Zeitdokumente, ein berührender Text und ein wunderbares Ensemble mit einem hervorragenden Regieteam: das alles fügt sich zu einem Theaterabend, der uns angesichts des Ukraine-Krieges einmal mehr die Augen öffnet, wofür wir einstehen müssen. Herzlichen Glückwunsch allen Beteiligten der Inszenierung „Das mangelnde Licht“.
Inszenierung Schauspiel
JETTE STECKEL
für „Das mangelnde Licht“
Thalia Theater Hamburg
Inszenierung Musiktheater
FLORIAN LUTZ
für „Wozzeck“
Staatstheater Kassel
Begründung der Jury
Zum Auftakt seiner Intendanz in Kassel zeigt Florian Lutz mit Alban Bergs „Wozzeck“ gegenwärtiges, packendes Musiktheater. In Sebastian Hannacks beeindruckender Raumbühne PANDAEMONIUM sitzt der Zuschauer mitten im Geschehen und wird mit simulierten Live-Abstimmungen zum Teilnehmer einer bösen Show, die anhand eines einzigen Produkts vorführt, wie Wirtschaftsinteressen Politik aushöhlen. Das ist klug überlegt, konsequent und aufwändig umgesetzt. Eine liebevolle, genaue Personenführung ermöglicht allen Beteiligten ein Spiel mit vollem Einsatz.
Begründung der Jury
Wenn eine Inszenierung mit fast ausschließlich jugendlichen Amateurdarsteller:innen ausgezeichnet wird, dann ist dies zweifelsfrei ungewöhnlich für die FAUST-Preisvergabe und es muss etwas äußerst Außergewöhnliches auf der Bühne geschehen. Und das tut es.
Hier wird nicht nur eine Romanvorlage vom Regie- und Dramaturgie-Team herausragend für die Bühne bearbeitet, sondern in einer damit verbundenen konsequenten Entscheidung auch schlüssig mit einem jungen Spielensemble besetzt. So entsteht eine großartige Aufführung, in der szenische/choreografische Lösungen gefunden wurden, die bewundernswert unangestrengt, zärtlich und einfühlsam in einem stimmigen Bühnen-Kostümbild ins Licht gesetzt werden. Durch die unverkrampfte Spielweise wird hier ein archaischer Stoff in heutige Gefühlswelten – nicht nur für ein jugendliches Publikum – übertragen. Und das ohne jeglichen Hauch von den allzu bekannten Schülertheater-Fallgruben.
Inszenierung Theater
für junges Publikum
LIESBETH COLTOF
& INSZENIERUNGSTEAM & ENSEMBLE
für „Miroloi“
Junges DT Berlin
Darsteller:in Tanz
BEATRICE CORDUA
in „A Divine Comedy“
Ruhrtriennale, Spirit, Something Great & Staatstheater Kassel
in Koproduktion mit Tanzquartier Wien, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, deSingel, Theater Freiburg und Julidans
Begründung der Jury
In Beatrice Cordua’s Darstellung ist die unersetzliche Lebenserfahrung einer Tänzerin eingeschrieben, die keine großen Sprünge mehr braucht um zu berühren. Ihr Spiel an den Rändern der tänzerischen Darstellung ist sehr ergreifend. Mit ihrem fragilen, alten Körper entwirft sie, wie selbstverständlich, ein Gegenbild zum leistungsbasierten Tänzer:innenkörper der Gegenwart und tritt dadurch auf eine sehr berührende Art den Beweis an, dass Tanz nicht ausschließlich mit den Beinen stattfinden kann.
Dabei strahlt sie eine existentielle tiefe Würde aus. Sie nimmt uns mit auf ihre Reise zu einer wahrlich göttlichen Komödie. Ihre Darstellung ist ein wesentlicher Teil der umfassenden Installation von Florentina Holzinger, die nur dank ihr so überzeugend funktioniert.
Begründung der Jury
Manchmal ereignet sich ein Schauspiel, das uns sprachlos macht, alle Fragen erstickt und uns nur staunen lässt: so virtuos und so leichtfüßig, so berührend und zugleich so irritierend, so aktuell und doch so zeitlos. Es ist die Schauspielerin Lina Beckmann, die mit ihrer Darstellung von Richard III. jede Diskussionen über Repräsentation vergessen lässt, indem sie spielt und uns mitreißt in den Strudel einer Figur, die in ihrer Maßlosigkeit unmenschlich scheint und so menschlich auf die Bühne gebracht wird, dass wir dabei in die Abgründe unserer eigenen Spezies schauen und zugleich ein schauspielerisches Meisterstück erleben. Herzlichen Glückwunsch, liebe Lina Beckmann.
Darsteller:in Schauspiel
LINA BECKMANN
in „Richard the Kid & the King“
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg
in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen 2021
Darsteller:in Musiktheater
MARLIS PETERSEN
in „Die Sache Makropulos“
Staatsoper Unter den Linden
Begründung der Jury
Bei ihrem Rollendebüt als Emilia Marty in Janáčeks „Die Sache Makropulos“ gelingt Marlis Petersen mit der Erfahrung einer fast 30 Jahre dauernden Karriere das facettenreiche, komplexe Porträt einer Frau, die in patriarchale Strukturen gezwungen, Opfer und Täterin zugleich ist – manipulativ, lebensgierig und zerbrechlich. Mit stimmlicher und darstellerischer Intensität beglaubigt sie die zahlreichen Verwandlungen der Figur, die Libretto und Komposition verlangen, fügt ihnen weitere hinzu und wird damit zum schillernden Zentrum der Inszenierung.
Begründung der Jury
In diesem gemeinsam mit dem Regisseur Marco Damghani entwickelten Monolog zelebriert Eidin Jalali virtuoseste Schauspielkunst und konfrontiert die Zuschauer mit den Vorurteilen gegenüber postmigrantischen Mitbürger:innen. In rasanten Rollenwechseln zitiert, jongliert, parodiert er dabei nicht nur Klischees, sondern zwingt schmerz- wie lustvoll und auch durchaus provozierend zur inneren Stellungnahme der Zuschauer: leidenschaftlich, glaubhaft und niemals anbiedernd. Brillantes Junges Theater für All Ages. Und ganz nebenbei wird dabei noch exzellent die klassische Casting-Vorsprechsituation parodiert.
Darsteller:in Theater
für junges Publikum
EIDIN JALALI
in „Die Leiden des jungen Azzlack“
Schauspiel Leipzig
Raum
KATJA HAß
für „Die Träume der Abwesenden“
Residenztheater München
Begründung der Jury
Die starke Setzung von Katja Haß´ poetischer Installation bespielt virtuos den offen angelegten Theaterraum und schafft so Denkräume für das Publikum wie einen großen Freiraum für die Regie und die Spieler:innen. Unterschiedlichste Beleuchtungskörper und deren szenografische Anordnung gemeinsam mit wenigen Objekten schaffen gekonnt dichte, atmosphärische Spielräume. Mittels der merklichen wie unmerklichen Verwandlungen ist es Haß gelungen, eine unaufdringliche wie stringente, visuelle Dramaturgie entstehen zu lassen, die im dritten Teil fulminant kulminiert in einer Art Sphärenmodell, einer großen Weltkugel – vom Team selbst als „Ewigkeitslicht“ bezeichneten Raumkörper.
Begründung der Jury
In „Das neue Leben“ ist dem Duo Jonas Holle (Musik) und Paul Hankinson (Klavierarrangements) ein in seiner Konsequenz radikaler Umgang mit Ton gelungen. Zentrales Element der Bühne ist ein eigenwilliges Selbstspielklavier, das neben den vier Darsteller:innen sein Eigenleben entwickelt und in feinen musikalischen Arrangements den Bogen zwischen der Welt Dantes und Heute zu schlagen vermag. In einem subtilen Wechselspiel von Text, Geräusch, Musik, Licht und Performance entsteht ein Gesamterlebnis, was in Hinblick auf eine innovative Erweiterung des Medienbegriffs seines Gleichen sucht.
Ton & Medien
Paul Hankinson
& Jonas Holle
für die Musik in „Das neue Leben – where do we go from here?”
Schauspielhaus Bochum
Kostüm
Adriana Braga Peretzki
für „Molière“
Schauspiel Köln
Begründung der Jury
Adriana Braga Peretzkis Kostümbild (und Maske) spielt gekonnt mit historisierenden Schnitten, Silhouetten und Stoffen, die sowohl prunkvoll-glamourös wie aufgebrochen durchscheinend den Spieler:innen des Abends ein mitreißendes, überbordendes Lustspiel von und über Molière und seiner Truppe ermöglichen. In Glitzer, hauchdünnem Tüll, Brokat und falschem Pelzbesatz, Federboas und Allongeperücken wird ein lustvolles Bild einer Epoche gezeichnet, ohne dabei das Heute außer Acht zu lassen. Versatzstückhaft, übergroß, opulent und transparent wird das Kostüm auch als Mittel der Bekleidung, der Verkleidung und der Verführung thematisiert, so dass es große Freude bereitet, die aus den Mitteln des Abends entstehende Reibung auch kongenial durch das Kostümbild ergänzt zu erleben.
Begründung der Jury
Herbordt/Mohren haben mit ihrem ‚Schaudepot‘ einen Ort geschaffen, der weit über sich selbst hinausweist und wirkt. Es ist zum einen ein kleines Ladenlokal mit offenen Türen in der Stuttgarter Peripherie; liebevoll und sehr aufwändig bis ins letzte Detail durchdacht. Es ist aber vor allem auch ein Baukasten, ein Prinzip, eine Aufforderung, ein Gedanke, der hinausgetragen wird: auf die Dörfer und ins World Wide Web, der sich anwenden lässt und wie nebenbei die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung des Theaters stellt. Es ist eine sehr ernsthafte – mit Nachdruck und großer Konsequenz – betriebene Forschung. On-going und im allerbesten Sinne: transdisziplinär!
Genrespringer
Bernhard Herbordt
& Melanie Mohren
für „Das Schaudepot“
Produktion von Herbordt/Mohren
in Kooperation mit dem Theater Rampe Stuttgart
Preis für das Lebenswerk
Preisträger: Achim Freyer
Wer aus der Aufführung einer Achim-Freyer-Produktion kommt, nimmt Bilder mit, die sich einbrennen auf die Netzhaut, einprägen in das Gehirn und dort lange weiterwirken. Selbst wenn Freyer ‚nur‘ für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnete, so wie oft zu Anfang seines Lebensweges, als er noch in der damaligen DDR tätig war – selbst dann war der oder die jeweilige Regisseur:in geradezu gezwungen, sich zu Freyers szenografischer Bildkraft szenisch zu verhalten. Insofern war es immer schon mehr als ‚nur‘ Bühnenbild, was Freyer da schuf. Und es war konsequent, dass er früh anfing, selbst zu inszenieren. Seine dramatischen Arbeiten sind ‚Gesamtkunstwerke‘ auf ebenso entschiedene wie auch entschieden zeitgenössische Weise. Achim Freyer blieb unbeugsam, eigensinnig – selbst da, wo der zu zahlende Preis hoch war. Als es ihm unter dem Druck der DDR-Kulturpolitik zunehmend unmöglich wurde, seine Werke zu zeigen oder aufzuführen, kehrte er diesem Staat den Rücken, Freunde zurücklassend und Werke, gezwungen zu einem Neunanfang unter veränderten Vorzeichen. Den meisterte er glänzend, fand in der gewonnenen Freiheit neue, eigene künstlerische Wege.
Perspektivpreis
Preisträger: Die Oper Halle mit der Inszenierung „Manru“ und ihrem politisch-interdisziplinären Rahmenprogramm
Bühnen Halle | Theater, Oper und Orchester GmbH Halle
Die Oper „Manru“ des polnischen Komponisten Ignacy Jan Paderewski wurde am 29. Mai 1901 in der Semperoper Dresden uraufgeführt und an der Oper Halle am 19. März 2022 erstmals wieder in Deutschland in deutscher Originalsprache aufgeführt. Regie führte bei der Geschichte über das zerstörerische Zusammenleben ethnisch diverser Gruppen in einem Land Katharina Kastening. […]
Die Produktion in Halle ist ein gelungenes Beispiel dafür, eine Opernproduktion im Zentrum aktueller politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge zu interpretieren und zu vermitteln. Vor dem Hintergrund des rassistisch motivierten Anschlags auf die Synagoge in Halle 2019 tritt die aktuelle politische Dimension des Werks, das zeigt wie rassistische Vorurteile die Menschen moralisch und existenziell zerstören, deutlich in den Fokus und der Zuschauerraum wird zum Ort des gesellschaftlichen Diskurses und der Imagination einer anderen Welt. Die Produktion dokumentiert damit in besonderer Weise die gesellschaftliche Relevanz der darstellenden Künste als Impulsgeber für gesellschaftliche Transformationsprozesse.